Home | News | Suchen | News-Archiv | Kategorien | Kontakt

Nächte der Kulturen und des Zwielichts: Berner Tanztage mit Accrorap und The Cholmondeleys/The Featherstonehaughs

Verfasst von Eva Buhrfeind | |   Tanztheater

Der Auftritt der französischen Compagnie Accrorap mit ihrer Choreografie aus indischem Tempeltanz und Hip-Hop begeisterte das Publikum der Berner Tanztage nachhaltig. Die englische Formation The Cholmondeleys/The Featherstonehaughs mit ihrer lasziven Tanzshow hingegen schuf in der Hitze der Nacht eine schwer lastende Stimmung.

Der Applaus wollte kein Ende nehmen. Eine Zugabe forderte die nächste bis zum phänomenalen «Head-spin», dieser so schwierigen Kopfeinlage des Hip-Hop, mit der Joze dos Santos auf seiner Häkelkappe über die Bühne geschliddert kam. Was die französische Gruppe Accrorap mit dem Stück «Anokha» in Sachen mitreissender Verschmelzung von indischem Tempeltanz und dem Tanz der Strasse - dem Hip Hop - bot, liess die Hitze vergessen. West und Ost, Tradition und Moderne: was für ein Gegensatz und doch so nah im Tanz. Hier die uralten, fernöstlichen Tanztraditionen, die von Göttern und mythischen Geschichten erzählen, dabei auf Gefühl, Melodie und Geist der Musik aufbauen. Und da der Hip-Hop, intensive Bewegungsarbeit, die von Menschen erzählt, die ihren Zorn in rasante Körperakrobatik umsetzen.

Pulsierende Emotionen
Kader Attou, der 1989 erst 17-jährig mit weiteren Tänzern Accrorap gründete, feierte nun mit seiner Crew diese eigenwillige Begegnung der unterschiedlichen Tanz-Kulturen im Banne freudig pulsierender Emotionen. Die beiden indischen Tänzerinnen und der indische Tänzer beschrieben, in sich ruhend, beschwörend in den symmetrischen Tanzfiguren, mit einer nimmermüden Eleganz der vibrierend geschmeidigen Körper, Hände, immer neue faszinierende Figurenbilder. In diese anmutig expressiven Bewegungen flossen die gleichermassen geschmeidigen Hip-Hopper mit den eher athletischen Körperfigurationen. Raumgreifend, ungeheuer gelenkig, liessen sie sich von der fremden Tanzsprache mitreissen, inspirierten synchron die indischen Tänzer, bis die Bewegungen, die Gefühle ineinander griffen. Verdichtet von symbolistischen Bildern und Stimmungen oder vom archaischen Sonnensymbol des Swastika, geformt aus Kerzen. In diesen Gegensätzen von Licht und Schatten, von Kraft und Leichtigkeit erwies der HipHop dem indischen Tanz die Reverenz.

Nachtschattengewächse düsterer Revuen
In die Unterwelt des Tanzes, in jene ewige Zeit nach Mitternacht, entführte hingegen die britische Tanzavantgardistin Lea Anderson mit ihrem Stück «Smithereens», das ihre weibliche Compagnie The Cholmondeleys und die Männertruppe The Featherstonehaughs wieder einmal vereinte. Als Nachtschattengewächse düsterer Revuen tauchten sie auf und ab für eine abgründig-geheime Tanz-Mission, von der «Oscar»-Gewinnerin Sandy Powell skurril bis surreal, sinnbildhaft bis tragisch-komisch kostümiert. Musik dudelt klangvoll oder rasselt schräg, die Grammophonnadel harzt enervierend.

Grauzonen des Nachtlebens
Schwül und schwer lastet die Luft, schummriges Licht verheisst Dekadenz und Morbidität. Halbnackte Leiber mit verzerrten Fratzen räkeln und rangeln sich lasziv auf roten Podesten. Schwarzgewandete Paare winden sich zur dröhnenden Musik in skulpturhaften Posen und obsessiven Verrenkungen, fordern sich beschwörend heraus, fliehen einander in melancholischen Bewegungen. Als zehnköpfige Chorus Line unterbrechen sie ballettös-marionettenhaft die einsamen Tänze jener triebhaften Schattenreiche, in denen die Tanzrevuen der Golden Twenties anklingen.
Lea Anderson liess sich hier eindeutig von den Variétés und Cabaretshows der 20er-Jahre inspirieren. Stilisiert, persifliert und exaltiert zu einer Tour- de-Force schwerlastiger Tanznummern, lässt sie im Zwielicht einer irre gewordenen Zeit die Grauzonen dieses Nachtlebens Revue passieren. Dabei bewegt sich ihre Choreografie zwischen Leidensbildern der Erotik und lasterhaftem Sentiment, zwischen Dada und exzentrischer Monotonie, während das wuselige Umbauen und Umkleiden die schräg-dumpfe Atmosphäre immer wieder stört. Doch stets schrammt und kratzt die Nadel, während das clownsgesichtige, befrackte Musikerduo «The Victims of Death» unermüdlich mit Akkordeon, Saxophon und Keyboard melodisch diese fehlgeleiteten Gefühle beschwört.

Grossartiger Tanz-Mix: die französische Compagnie Accrorap 2001 an den Berner Tanztagen.
Grossartiger Tanz-Mix: die französische Compagnie Accrorap 2001 an den Berner Tanztagen.
Nachtschattengewächse düsterer Revuen: The Cholmondeleys 2001 an den Berner Tanztagen.
Nachtschattengewächse düsterer Revuen: The Cholmondeleys 2001 an den Berner Tanztagen.