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Möglichkeiten einer Wahrheit: Schweizer Erstaufführung Michael Frayns «Kopenhagen» im Stadttheater Bern

Verfasst von Eva Buhrfeind | |   Theater

Michael Frayns «Kopenhagen» begeisterte vielerorts das Publikum und regte Historiker zu Debatten an. Jetzt kommt das Stück über die historische Begegnung zweier Physiker im Stadttheater Bern zur Schweizer Erstaufführung. Ein kompaktes wie spannendes Drama um die Unbestimmtheit menschlichen Denkens und Seins.

Es war im September 1941. Der deutsche Atomphysiker Werner Heisenberg besucht seinen um 17 Jahre älteren Freund und Lehrer Niels Bohr im von den Nationalsozialisten besetzten Dänemark. Ein Spaziergang, ein privates Gespräch unter vier Augen, dauert keine Viertelstunde und zerstört die Freundschaft der beiden Genies unwiederbringlich.
Was Heisenberg von Bohr wollte, beziehungsweise, was er ihm mitteilte, bleibt bis heute ein Rätsel. Wollte Heisenberg Bohr über den Stand der britisch-amerikanischen Atomforschung aushorchen? Oder wollte er von seinem Übervater Absolution, um an der Atombombe für die Nazis arbeiten zu können? Kam Heisenberg gar mit der pazifistischen Idee, den Bau der Atombombe weltweit zu verhindern? Wollte Heisenberg Bohr in den Bau einer deutschen Atombombe einspannen? Oder wollte Heisenberg nur bei seinem dänischen Mentor bluffen, weil er als Hauptbeteiligter der deutschen Atomforschung vor «einem, wunderbar wichtigen Dilemma» stand?

Fakten, Vermutungen und Fiktion
Der englische Dramatiker Michael Frayn verwebt in seinem 1998 in London uraufgeführten Zweiakter historische Fakten, Vermutungen und Fiktion zu einem Dreipersonenstück. Dazu lässt er Heisenberg, Bohr und dessen Ehefrau Margarethe im Totenreich noch einmal zu einem theatralischen Gedankenspiel zusammenkommen, um in drei Anläufen diese mysteriöse Begegnung zwischen den späteren Nobelpreisträgern Heisenberg und Bohr in verschiedenen Varianten durchzuspielen. Vor dem Hintergrund wichtiger Fragen wie Verantwortung und Autonomie der Wissenschafter in Bezug auf Geschichte, Politik, Krieg, einer Männerfreundschaft zwischen wissenschaftlicher Herausforderung und moralischem Gewissen, geht es um die Möglichkeiten einer Wahrheit. Und damit um die philosophische Frage nach der Ähnlichkeit des Blicks in die Welt der Atome wie jenes in die Welt der Gedanken und Erinnerungen. Beides zeigt sich ebenso unbestimmt wie das Verhalten von Elektronen. Dazu lässt Frayn die verschiedenen Spekulationen dramaturgisch raffiniert als persönlich geführte Dispute und rhetorische Diskurse mit Vor- und Rückblenden ineinander greifen und sich durchdringen.

Bühne als abstrakter Raum des Unendlichen
Regisseur Dirk Schulz gewährt diesen Gedankenwelten viel Raum. Sein Totenreich ist eine völlig leere, ganz in Schwarz gehaltene Bühne (Raphael Barbier) als abstrakter Raum des Unendlichen. Nur Licht erhellt oder fokussiert die Darsteller auf der leicht schrägen Bühnenrampe. Hier kann sich kraft der schauspielerischen Verdichtung über zwei Stunden – eine Pause wäre nicht einmal nötig gewesen – eine komplexe Spannung aufbauen und konsequent durchziehen.

Physik und Freundschaft
Dabei sind die drei Darsteller, die mit dem schwierigen physiklastigen wie philosophischen Text eine Bravourleistung schaffen, völlig auf sich und die Worte gestellt. Halb spielerisch, halb im bitteren Ernst, dabei von einer sensiblen Menschlichkeit, umkreisen sie – wie Elektronen den Atomkern – immer wieder die Frage, warum Heisenberg 1941 nach Kopenhagen kam. Freudig schwelgen die Männer in Erinnerungen, die von Margarethe Bohr wieder relativiert werden. Sie durchstreiten heftig ihre physikalischen Erkenntnisse, durchspielen objektive Absichten und mutmassen subjektive Haltungen, variieren Positionen und geraten so immer tiefer rational wie emotional wechselwirkig in ihre Figuren.
Klaus Degenhardt als Niels Bohr ist der besonnenere, nachdenklichere. Doch immer wieder blitzen Zorn, Neugier auf, reagiert vorsichtig das Misstrauen zwischen Distanz und freudiger Erwartung. Matthias Brambeer als Heisenberg ist der Heissspom, ein extrovertierter Schnell-Vorschnelldenker. Er lebt mit den Rechtfertigungen, entgleitet stets ins Vage, erklärt sich, seine Haltungen ständig, und lässt sich doch nicht fassen – seine stete Beteuerung «und es hat funktioniert» wirkt konstant vieldeutig. Catja Wutz als Margarethe Bohr kommentiert, reflektiert, weist der Eigendynamik neue Richtungen, stets betroffen, nachdenklich, erzürnt. So durchschreiten sie Raum, Zeit und Materie, berühren sich, stossen sich ab in den Ansprüchen, wie es gewesen sein könnte. Faszinierend leicht kommen ihnen die schweren physikalischen Thesen über die Lippen, ringen gleichzeitig intensiv mit den Gefühlen einer Männerfreundschaft, die auf der Geistesverwandtschaft zweier ungleicher Werte beruht. Und deren explosive Mischung auf die bis heute gültige Spannung von Politik und Wissenschaft reagiert.
«Kopenhagen» im Stadttheater Bern, nächste Aufführungen: 4., 6., 9., 13., 14., 15. September 2001. Am 6. September 2001 findet ausserdem ein WissenschaftsCafé zur Produktion statt: 18 Uhr, Foyer, Eintritt frei.

Spannungsfeld: Klaus Degenhardt, Catja Wutz und Matthias Brambeer (v.l.) entfalten in Michael Frayns «Kopenhagen» 2001 im Stadttheater Bern eine komplexe Welt in Gesprächen über Atomphysik und Freundschaft.
Spannungsfeld: Klaus Degenhardt, Catja Wutz und Matthias Brambeer (v.l.) entfalten in Michael Frayns «Kopenhagen» 2001 im Stadttheater Bern eine komplexe Welt in Gesprächen über Atomphysik und Freundschaft.