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Die rettende Kraft des Lachens in der Einsamkeit: «Jankelewitsch und sein Leibwächter» im Foyer der Berner Kornhausbühne

Verfasst von Eva Buhrfeind | |   Theater

Manchmal ist das Leben nur noch lachend zu bewältigen. So führt es zumindest die Schweizer Erstaufführung der Komödie «Jankelewitsch und sein Leibwächter» im Foyer der Berner Kornhausbühne vor. Melancholisch-poetisch und lakonisch-witzig wird an ein russisch-jüdisches Schicksal erinnert.

«Der Mensch braucht Schutz», sagt Jankelewitsch sich und dem Publikum, denn «verteidigen heisst lieben». Und dieser Schutz, diese Liebe fehlt ihm in der Emigration in Paris. Die Frau, die ihn einst in der alten Heimat beschützte, ist tot, der Sohn zurückgeblieben. In der Fremde erfährt der alte russische Jude, der in Russland in die Revolution geboren, drei Kriege, drei Haftstrafen und ein Pogrom, Armut, Verfolgung, Antisemitismus und den totalitären Stalin-Staat überlebt hat, was er bisher nicht kannte: die Einsamkeit. Und so beschliesst er eines Tages, dass er einen Leibwächter gegen die Einsamkeit bräuchte. Ein grüner Pfad mit je einer privaten und öffentlichen Lokalität an den Enden begrenzt plakativ jenen Raum, in dem eine seltsame Freundschaft eine unaufhaltsame Eigendynamik annimmt.

Brüder Schargorodski aus der eigenen Biografie
Das Werk der 1986 in den Westen emigrierten Brüder Alexander und Lew Schargorodski, die in dreissigjähriger Gemeinschaftsarbeit Erzählungen, Romane, Drehbücher und Theaterstücke veröffentlichten, ist ein erzählerisches Zweipersonenstück über die Einsamkeit - und die rettende Kraft des Lachens. «Jankelewitsch und sein Leibwächter» bezieht seine Wirkung aus der expressiven Erzählkunst und aus der Sensibilität der Darstellung - gespickt mit selbsterhaltendem Witz, selbstironischer Larmoyanz und einem schon poetischen Fatalismus. Dabei schöpfen die in St.Petersburg geborenen Brüder Schargorodski aus ihrer eigenen Biografie ebenso wie aus familiär erfahrenen Schicksalsmotiven.

Routiniertes Darstellergespann
Mit erstaunlichem Gespür für diese komplexen Zwischentöne verlässt sich Jungregisseurin Julia Schreiber ganz auf das Einfühlungsvermögen der routinierten Darsteller Hans-Joachim Frick und Klaus Degenhardt. Letzterer verkörpert als duldsamer und friedensliebender Buchhalter, den jeder Karateschlag, jeder Kampfschrei völlig aus dem Konzept bringt, die tragisch-tragende Figur. Sanft, ein wenig traurig um den Mund, flunkert er sich mutig zum Waffenhändler hoch, verzichtet auf sein Frühstück, um sich von der kargen Sozialhilfe für wenige Stunden den Leibwächter zu leisten.
Eigenwillig taucht er mit einem antrainiert jiddischen Tonfall in diese fremden Erinnerungen, philosophiert und fabuliert, verliert sich in der Melancholie der trostlosen Vergangenheit wie auch in der Liebe zu seiner Frau, verheddert sich in der falschen Existenz, tanzt freudig hoffend wie Anatevka, spielt lakonisch mit dem Klischee des (reichen) Juden; gibt sich dabei - mit teils länglicher Wirkung - immer wieder kämpferisch-verletzlich, phantasievoll reflektierend und eigensinnig, derweil Hans-Joachim Frick als bodenständiger Leibwächter immer wieder die Fäuste reckend und brüllend jeden potentiellen Feind in die Flucht schlägt. Und gleichwohl ein geduldiger, wenn auch spitzfindiger Zuhörer ist; bis zum bitteren Ende, wenn die Schmarotzer und Verbrecher überlebt sind, und nur ihre Freundschaft und die Erkenntnis bleiben: «Es gibt keinen Weg zurück, warum also brüllen - lächeln. Solange es möglich ist, lebt lustig.»
Foyer Kornhausbühne Weitere Aufführungen: 25., 27. Oktober; 1., 11., 23. November; 6., 9., 13., 29. Dezember 2001.

Seltsame Freundschaft: Der Buchhändler Jankelewitsch (Klaus Degenhardt) und sein Leibwächter (Hans-Joachim Frick, hinten) 2001 als «Jankelewitsch und sein Leibwächter» im Foyer der Berner Kornhausbühne.
Seltsame Freundschaft: Der Buchhändler Jankelewitsch (Klaus Degenhardt) und sein Leibwächter (Hans-Joachim Frick, hinten) 2001 als «Jankelewitsch und sein Leibwächter» im Foyer der Berner Kornhausbühne.