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Zwischen Gummitwist und Hartmannsweilerkopf: «negaholics» mit ihrem ersten Theaterstück «A & M und der Kalte Krieg» im Kreuzsaal Solothurn

Verfasst von Eva Buhrfeind | |   Theater

Sie hätten schon mehr Publikum verdient bei KreuzKultur, das Frauenduo «negaholics» mit ihrem ersten Theaterstück «A & M und der Kalte Krieg». Tragikomisch bis selbstironisch wurde die Fragilität des Erinnerns wie die ewige Lust an der Katastrophe im Kreuzsaal Solothurn vorgeführt.

Zwei Schwestern und Erinnerungen, die geprägt sind von verlorenen Bildern, von katholischer Erziehung und dem Kalten Krieg, vom gestrengen Grossvater, dem kleinen Bruder, den die eine gebissen hatte, und vom elsässischen Kriegsschauplatz Hartmannsweilerkopf. Immer wieder der Hartmannsweilerkopf, der Lieblingsausflugsort des Grossvaters. Der Kalte Krieg bestimmte die Stimmung in der Familie, eine gewisse Dominanz den Ton zwischen den Geschwistern der Generation der um 1950 Geborenen.
Die eine, Anna, hat siebenjährig bei einem Reitunfall das Gedächtnis verloren. Die andere, Maria, hat damals versucht, mit allerlei Spielchen die verlorenen Bilder wieder hervorzurufen - vergebens. Erst jetzt, als Erwachsene, will Anna sich für eine journalistische Recherche erinnern, Maria soll ihr helfen. Zwei Frauen, zwei Arten des Erinnerns in einem seltsam kühlen Ambiente aus Stühlen und Hockern. Maria, die Fotografin, lebt von der Lust auf Bilder aller Katastrophen, Anna lebt mit den Ritualen der Kinderzeit, die sie grotesk vorführt. Ein Tauschgeschäft der Erinnerungen beginnt, Kindheitsfotos gegen Dias vom Hartmannsweilerkopf, Kindheit gegen Katastrophen. Erst stockend, dann unvermittelt und mit dem Mut zur entblössenden Selbstironie lassen nun Franziska von Blarer als Autorin wie Darstellerin zusammen mit Franziska Schneebeli diese Erinnerungsarbeit wie die Auseinandersetzung mit der Geschichte zu einem tragikomischen Event ausarten - wehmütig die Schwester plagend die eine, verbissen auf der Suche nach den verlorenen Bildern die andere.
Da werden Grabkerzen aufgestellt, Kinderkleider übergestreift, Bach'sche Choräle, «Alte Kameraden» oder Kinderlieder angestimmt, die gemeinsamen Momente der Kindheit nachgespielt, der Grossvater, Karfreitagskirchgänger, imitiert oder in kindlicher Manier um ein gelbes Pyjama gebeten.

Schwesterliche Kämpfe
Auch wenn diese Inszenierung unter der Regie von Hans Gysi hin und wieder forciert tönt, so durchdringen sich zwischen Gummitwist und Hartmannsweilerkopf, zwischen schwesterlichen Kämpfen und Kriegsschauplätzen, in humorvoller Erkenntnis und süffisantem Schmerz vergangene und gegenwärtige Gefühle und Verhaltensmuster, die Kinderängste mit denen der Erwachsenen.
Aber Annas verlorene Bilder tauchen nicht auf, und Marias Kopfschmerzen sind geblieben. Dafür verkaufen sie die Kriegsschauplätze cheerleadermässig im Fremdenführerenglisch als eine wilde Diashow. «Enjoy the war.» Der Krieg, die Katastrophen, die grossen wie die kleinen, verkommen immer mehr zum Unterhaltungswert, zu Bildern, die flackern und flirren und alles verharmlosen. Denn den Erinnerungen ist nicht zu trauen. Sie werden - so führen es die «negaholics» eindrücklich und mit dem notwendigen Witz vor - im fragilen zwischenmenschlichen Konfliktpotential einfach aufgeweicht und verklärt.

https://www.kulturundcoaching.ch/person
https://www.programmzeitung.ch/download/Content_attachments/FileBaseDoc/PZ_2001-02_300dpi_Bild-OCRD.pdf

Auf der Suche Anna (Franziska von Blarer, links) und Maria (Katharina Schneebeli) kramen in den Erinnerungen.
Auf der Suche Anna (Franziska von Blarer, links) und Maria (Katharina Schneebeli) kramen in den Erinnerungen.