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Judith Giovannelli zog Zuhörer in den Bann: Lesung aus «Das gefrorene Meer» in der Bibliothek Schulhaus in Lengnau

Verfasst von Eva Buhrfeind | |   Literatur

Judith Giovannelli-Blocher las in der Bibliothek Schulhaus in Lengnau vor einem zahlreich erschienenen Publikum aus ihrem ersten Roman «Das gefrorene Meer». Eingeladen hatten der Lengnauer Kunstverein in Zusammenarbeit mit der Kommission für Kultur und Freizeit.

«Denn allen ist uns der Wunsch eingelegt, in das Gewesene heimzukehren und es zu wiederholen, damit es, wenn es unselig gewesen war, nun selig sei.» Dieses Zitat des deutschen Schriftstellers Thomas Mann hat Judith Giovannelli-Blocher nicht nur ihrem Werk «Das gefrorene Meer» vorangestellt, es diente ihr mit als Erklärung auf die Publikumsfragen, welche Bedeutung denn dieses Buch, das Schreiben für sie hätte. Sie selbst hat das Buch als eine grosse Befreiung empfunden, als Distanzierung zu Zusammenhängen, die vorher nicht klar waren. Denn so konnte sie mit diesem Roman ihre Kindheit neu erfinden. Seit 1987 hat die Schwester von Christoph Blocher an diesem Werk gearbeitet, ein autobiografischer Schlüsselroman, in dem sich Dichtung und Wahrheit derart vermischen, dass die Fiktion wahr und allgemeingültig wird.

Lore tut sich schwer
«Das gefroren Meer» erzählt von den ersten 15 Lebensjahren des Mädchens Lore, die mit zehn Geschwistern in einem düsteren Pfarrhaus am Rhein in den späten 1930er- und frühen 1940er-Jahren aufwächst. Lore wird wie die anderen Geschwister mit viel Strenge und in bester Absicht zu einem gottgefälligen Leben erzogen. Doch Lore hat einen grossen Kummer, wie es Judith Giovannelli-Blocher einleitend umschrieb: «Sie kann sich nicht so aufführen, wie es ihre Eltern gerne hätten». Sie lügt, stellt unbequeme Fragen, entdeckt Widersprüche in den Glaubensansätzen, fordert auf kindlich-pubertäre Art Gott heraus. Ein junger Mensch, der sich schwer anpasst in der starren, autoritär geprägten Welt mit einem patriarchalischen Vater und einer klaglosen Mutter, auf der Suche nach sich selbst, im Konflikt mit sich, den Gefühlen, dem Glauben, der Welt. Und auch in Gedenken an ihre lange Tätigkeit als Sozialarbeiterin hat die Schriftstellerin, die als ältestes Mädchen mit neun Geschwistern in einem Pfarrhaus aufwuchs, diesen Roman geschrieben, «weil sie in ihrer Praxis häufig mit Erwachsenen und Jugendlichen zusammengekommen ist, die sich nicht so aufführen konnten, wie sie sollten».
Wenn auch viel Verzweiflung und Einsamkeit in diesen Zeilen zum Ausdruck kommen, der 1932 in der Nähe Zürichs geborenen Autorin gelingt es immer wieder, geistreich und mit Phantasie eine lebendige, bildreiche Geschichte nachhaltig zu erzählen. Die eindrückliche Intensität wird dabei von einem lakonischen Humor getragen, der das Publikum begeisterte und erleichterte.

Mit lakonischem Humor eine autobiographisch gefärbte Geschichte erzählt: Judith Giovannelli-Blocher 1999 in Lengnau. (Foto: Eva Buhrfeind)
Mit lakonischem Humor eine autobiographisch gefärbte Geschichte erzählt: Judith Giovannelli-Blocher 1999 in Lengnau. (Foto: Eva Buhrfeind)