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Ein Streifzug durch die Vielfalt der amerikanischen Quiltkunst: Gewöhnliche Bettdecken sind das nicht...

Verfasst von Eva Buhrfeind | |   Ausstellung

Sie waren einst ein notwendiger, weil wärmender Gebrauchsgegenstand, heute sind sie beliebte, inzwischen rare Sammelobjekte und haben aufgrund der Herstellungstechniken auch wesentlich zur Vielfältigkeit der Textilkunst beigetragen: die Quilts, gesteppte Decken, aus Schau- und Rückseite und einer Füllung aus Baumwolle oder Wolle.

Die über einen gewöhnlichen Bettdeckenstatus hinausgehende volkskundliche Bedeutung der Quilts erkannten zuerst einmal die amerikanischen Heimatmuseen, schliesslich spielten die Quilts schon bei den ersten Siedlern, welche die Wildnis urbar machten, eine grosse Rolle bei der Ausstattung ihrer rohgezimmerten Blockhäuser. Später zeigten dann internationale Kunstmuseen und -galerien sowie das Publikum grosses Interesse, das die antiken Stücke nicht einfach nur übers Bett wirft, sondern wie alte Teppiche als Wandschmuck schätzt.


Europäische Wurzeln
Die Wurzeln der Quilts sind, wie bei so vielem aus Amerika, in Europa zu suchen. Das englische Wort quilt (= absteppen) leitet sich vom lateinischen «culcita» ab, einem Begriff, der schon im Altertum ein Polster oder eine Art Matratze bezeichnete. Später dann wurde die Füllung aus Heu, Laub, Federn oder Wolle mit dem Überzug zusammengesteppt und das Oberteil immer reicher verziert.
Besonders England, Schottland und Irland sind bekannt für ihre kunstvollen Quilts, die zum Teil von den aus Indien eingeführten Tüchern und Stoffen inspiriert waren. Oftmals wurden auch Blumen und Tiere aus diesen Stoffen geschnitten und dann auf den Quilt appliziert. Diese Bettdecken gehörten damals als wertvoller Besitz mit zum Hausrat und kamen im Zuge der europäischen Auswanderung in die neue Welt. Ein unentbehrlicher Bestandteil des alltäglichen, eher kargen Lebens, denn damals waren die Schlafräume, die sich besonders an der Ostküste als ungewohnt kalt entpuppten, auch im Winter ungeheizt, so dass die Siedler sich über eine rechte Anzahl solcher Steppdecken glücklich wähnten, um es wenigstens im Bett warm zu haben. So ist denn der für uns heute als typisch amerikanisch geltende Patchwork- Quilt-Flicken keine Erfindung amerikanischer Pioniersfrauen, sondern das Quilten ist eng verbunden mit der Besiedelung Amerikas durch die europäischen Auswanderer, wenngleich der Grad der Vollkommenheit in der Technik amerikanischen Ursprungs ist.


Eine Art Recycling
Das Quiltmachen war in allen familiär strukturierten Gesellschaftsschichten verbreitet, es war eine häusliche, eine persönliche Produktion unter gemeinschaftlicher Mithilfe von Freundinnen, Nachbarn und Verwandten.
Die farbig gemusterten Oberteile wurden
den meist nur von einer Frau hergestellt, das Zusammensteppen von Überzug und Füllung, das eigentliche Quilten, entstand in Teamarbeit, und zwar auf einem Rahmen.
Die Quilts dienten nicht nur einem wichtigen Bedürfnis, sondern waren auch eine Art Recycling. Als Materialien wurden nämlich alte Kleider und Stoffreste verwendet, so kann man bei genauem Hinsehen schon mal ein altes Hemd ausmachen.
Die Stoffe für das Oberteil wurden entweder aus Streifen, drei-, vier- oder sechseckigen «Patches», den Flecken, Flicken, mosaikartig zusammengesetzt, oder kleine, ebenfalls zu geometrischen Formen zugeschnittene Stoffstücke wurden zu «Blocks» oder Würfeln zusammengenäht, die, wiederum aneinandergereiht, dem «Piecing» (zusammenstellen, -setzen) die Schau- oder Oberseite darstellten. Und das alles in mühevoller Handarbeit, sei’s das Zusammennähen der einzelnen Stofflappen, sei’s das Steppen der drei Schichten oder die Anfertigung von ausgesprochen kunstvollen und akribischen Ziersteppmustem, die den Quilts einen zusätzlichenstrikturierten Dekor verleihen in Wellenform, mit Blumenranken bis zum lebhaften Waffelmuster. Die phantasievollen Kombinationen der geometrisch angeordneten «Blocks» ergeben dann die vielfältigen faszinierenden Muster.

Unzulänglichkeit des Irdischen
Auch wenn gewisse Muster besonders beliebt waren - man findet viel Ähnliches, das in verschiedenen Gegenden andere Namen trägt -, so wurde nicht einfach kopiert, sondern allenfalls Anregung für neue Variationen gewonnen. Äusserst selten sind zwei identische alte Quilts zu finden, selbst wenn in ländlichen Gebieten, je nach Herkunft und Religion der Bewohner, verschiedene Bräuche dieses Handwerk beherrschten und somit Material, Machart und Grösse beeinflussten.
Streng gläubige Menschen pflegten bewusst einen Fehler in ihre ansonsten sehr sorgfältig gearbeiteten Quilts einzuwirken, als Symbol für die Unzulänglichkeit des Irdischen. Wie sehr die Menschen damals mit ihren «Quilts» verbunden waren, zeigen die liebevollen Namen die poetisch, blumig oder naturalistisch ländliche Szenen.

Vom «Log cabin» zum «Pineapple»
Die Blocks als in sich geschlossenes Grundmuster haben Namen wie «Log Cabin» (= Blockhaus), dem ursprünglichen Blockhaus nachempfunden mit einem Quadrat, dem Herd, in der Mitte, um den herum die Stoffteilchen angeordnet sind.
Eine Variante davon ist der «Pineapple» (= Ananas) oder «Pine cone» (= Kiefernzapfen), in der die Farben verschiedener Würfel diese Figuren ergeben. Als Besonderheit findet man hier ein riesiges, sich in Streifen windmühlenartig um die Mitte anordnendes Log-cabin-Grundmuster. Andere Beispiele sind: «Nine Patches» (neun Läppchen bilden einen Block), «Rob Peter to Pay Paul», «Indian Wedding Ring», «Victoria’s Crown»...
Auch die farbliche Gestaltung der einzelnen Würfel und die Art und Weise ihrer Zusammensetzung, durch die sich die immer wieder neuen, übergeordneten Gesamtmuster ergeben, tragen phantasievolle eigene Namen: «Barn Raising» (Aufrichte einer Scheune), «Straight Furrow» (gerade Ackerfurche), «Light and Dark» (Licht und Dunkel), «Courthouse Steps» (Stufen des Gerichtgebäudes), eine sanduhrenartige Anordnung der Stoffstreifen, allesamt Variationen des «Log cabin».

«Trapunto» und «Flower Gardens»
Eine weitere Spielart des «Log cabin» ist der «Trapunto», der sich vom italienischen «trapunta» für Steppdecke ableitet. Es ist die Technik des gestopften Quilts. Hier wird jedes Stoffteil auf eine Unterlage «gestürzt», wie der Fachausdruck heisst, bis der Block aufgebaut ist, durch den eine eindrückliche Plastizität erzielt wird. So haben die Decken zwei Titel, einmal durch das (Näh-) Grundmuster und dann durch farbige Formen, die sich aus Teilen des Grundmusters zusammensetzen und den ganzen Quilt dominieren.
Beliebte Motive sind auch die «Lone Stars». Hier wird ein einziger grosser Stern aus vielen Läppchen gebildet. Oder der «Star burst», der explodierende Stern, zur Hundertjahrfeier der Vereinigten Staaten kreiert, der aus über 7000 kleinen roten, weissen und blauen rhombenartigen Flecken besteht. Windmühlen, Windrädchen, Lebensbäume, oder «Universalschrau- benschlüssel»-Darstellungen für Kinderbetten ganz knabengerecht hergerichtet sind weitere Beispiele in diesem vielfältigen wie -gestaltigen antiken Spiel mit den Formen und Farben.
Wie aus den fröhlichsten Flower-Power-Zeiten präsentieren sich die «Flower gardens», eine aus kleinen sechseckigen Stoffteilen zusammengenähte, explodierende Blütenpracht.

«Crazy Quilts»
Ganz aus der eher geordneten Reihe springen die «Crazy Quilts» aus Seide, Samt und Fremdmaterialien. Üppig be- und zusammengestickt, mit Fächermotiven, ohne geometrische Ordnung, dafür reichhaltig und recht grosszügig waren sie sehr beliebt in der victorianischen Zeit. Hier war nicht eine einzige Frau für die Oberdecke zuständig, sondern jede Teilnehmerin arbeitete ein eigenes Quadrat aus. So entstanden die typischen «Memorial Quilts», die Erinnerungsdecken, für jemanden, der eine Gemeinde verliess.
Eine besondere Spezialität bilden die individuellen Quilts der Amish, dieser sehr konservativ religiösen Gemeinschaft schweizerisch-elsässisch-holländischen Ursprungs. Es wurden keine gemusterten Stoffe verwendet, sondern stets nur einfarbige, jedoch von satter Farbe, die zu einfachen, klaren Konfigurationen komponiert wurden, meist mit typischen Rahmen und breitem Rand. Als einziger Dekor bestechen die herausragend gearbeiteten, jedoch sehr dezenten kunstvollen Stickereien auf der glatten Oberfläche. Ein sehr eindrücklicher Kontrast zu den eher feinen blumigen Applikations- Quilts des Südens oder zu den lebhaften Crazy Quilts.

Ausstellungen in Bern
eb. Zum drittenmal zeigen Elisabeth und Christian Anliker in ihrem Geschäft «Vitrine» in der Berner Gerechtigkeitsgasse eine reichbestückte Ausstellung antiker amerikanischer Quilts.
Der Grossteil der über 30 Arbeiten stammt aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sowie aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
In ihrer Vitrine AG handeln Elisabeth und Christian Anliker mit Antiquitäten, Stoffen und modernen Inneneinrichtungsartikeln. Zur typisch amerikanischen Quilt-Volkskunst kamen sie vor über 20 Jahren während eines Aufenthaltes in Nordamerika, wo sie die Quilts kennen und schätzen lernten. Seither setzten sie sich mit der Materie intensiv auseinander. (Bis 18. September 1992)
Gesammelte, aber auch selbstgestaltete Quilts stellen bis zum 13. September 1992 die 1988 gegründeten «Berner Quilters» in der Grossen Orangerie aus.

Ein aussergewöhnlich, ursprünglicher Patchwork-Quilt aus einer Vielzahl von bedruckten Baumwollstoffen, die zum Teil von Mehlsackgeweben stammen.
Ein aussergewöhnlich, ursprünglicher Patchwork-Quilt aus einer Vielzahl von bedruckten Baumwollstoffen, die zum Teil von Mehlsackgeweben stammen.