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Antiatomdrama: Erstaufführung in Bern

Verfasst von Eva Buhrfeind | |   Theater

Der deutsche Dramatiker Hans Henny Jahnn kommt Jahrzehnte nach seinem Tod mit «Der staubige Regenbogen» in der Mansarde des Berner Stadttheaters in Schweizer Erstaufführung zu Ehren. Eine packende, realistische Geschichte, die jedoch einige Ungereimtheiten enthält.

Kernkraftwerke an der norddeutschen Unterelbe mit den stark vermehrten Leukämiefällen bei Kindern und Jugendlichen, totalitäre Ideologien und machthungrige Herrscher, die ihre Ziele hemmungslos aufrechterhalten, aber auch Rassendiskriminierung, Zukunfts- und Hoffnungslosigkeit der Jugend: Aus einer bedingungslosen Antikriegseinstellung 1954 entstanden, ist dieses vehemente Antiatomdrama nach wie vor aktuell.
Viel will er dabei sagen, dieser Hamburger Erzähler, Dramatiker, Essayist und auch Orgelbauer von Weltruf, Hans Henny Jahnn (1894-1959), der sich mit Hormonforschung ebenso beschäftigte wie mit Musiktheorie, dessen vielschichtigen, aber auch widerspruchsvollen Werke von humanitären und idealistischen Elementen ebenso getragen sind wie von mythischen Visionen. Ein sprachgewaltiger, expressiver Erzähler ist er auf jeden Fall, wenn er das allmähliche «Sich-zur-Wehr-Setzen» eines bis anhin regierungstreuen Atomphysikers und einer Gruppe junger Menschen zeigt.

Zuviel des Guten
Aber zu viel des Guten will er doch. Da kommen noch die ausgerotteten Indianer ins Spiel, menschliche Versuchskaninchen, seine Hormontheorien, homoerotische Anwandlungen, triebhafte Exzesse und Blutsbrüderschaft, eine erlösungssehnsüchtige Orientierungslosigkeit der jungen Menschen, der Widerspruch Mensch und Natur, Fortschrittsgedanke und ursprüngliche Harmonie...
Regisseur Oswald Lipfert gelingt es halbwegs, das Stück inhaltlich derart zu konzentrieren, dass während der zweieinviertel Stunden - ohne Pause wohlgemerkt - weder die Spannung noch die Faszination oder Aufmerksamkeit nachlassen.

Parabel und Fabel
Wie vor einem Käfig ohne Gitter sitzt man, ein langer Gang tut sich auf mit wenig Requisiten und spiegelnden Wänden (Ausstattung: Christoph Wagenknecht) und beobachtet ein Geschehen, wo eine unvorstellbare Sciencefiction, in einer gelungenen Mischung aus Parabel und Fabel, die Wirklichkeit eingeholt hat. Der Professor Chervat (Klaus Henninger), in seinem blindem Forschungstrieb der Regierung ergeben, erkennt langsam das schreckliche Ausmass seines Tuns, versucht nach einem inneren Kampf sich aufzulehnen, das Unheil abzuwenden, aber zu spät.
Seine Gattin (Catja Wutz), die in der nackten Verzweiflung einer bösen Vorahnung zu einer Verzweiflungstat getrieben wird, die jungen Leute (Maximilian Held, Daniel Ludwig, Andreas Herrmann, Miriam Gaugier), schon eher grüblerische Aussenseiternaturen auf Wahrheitssuche, der gewissenlose, forschungsgierige Arzt (Markus John), ein eiskalter Zyniker, der aalglatte Sarkis (Siegmund Tischendorf), Vertreter einer hohen Regierungskommission, die mit den Mitteln der totalen Überwachung und manipulierten menschlichen Marionetten das totalitäre System ihrer Kriegsideologie aufrechterhalten will - man wird dabei immer wieder an George Orwells 1984 erinnert. Unwirklich und doch erschreckend wirklich, denn Big Brother ist allgegenwärtig wie die atomare Apokalypse.

Szene aus Hans Henny Jahnns «Der staubige Regenbogen».
Szene aus Hans Henny Jahnns «Der staubige Regenbogen».