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«Hand-Werkerin» und Tausendsassa: Esther Haltiner-Lüscher und Jacquy (Jacques Philipp) Neukomm in der Galerie Artesol Solothurn

Verfasst von Eva Buhrfeind | |   Vernissagerede

Vernissagerede am 9. März 2019 anlässlich der Ausstellung Esther Haltiner-Lüscher und Jacquy (Jacques Philipp) Neukomm vom 9. – 30. März 2019 in der Galerie Artesol Solothurn.

Liebe Vernissagebesucherinnen und Besucher

«Ich bin keine Künstlerin», sagt Esther Haltiner-Lüscher aus Aarau über sich und ihr künstlerisches Schaffen, «ich bin eine Hand-Werkerin». Auf eine Art hat sie Recht, allen ihren Arbeiten ist das Handwerkliche und das Gestalterische eins. Esther Haltiner-Lüscher liebt den Wachs, formt ihn, zeichnet ihn, wächst und wandelt mit dem Wachs, so wie der Wachs mit ihr wächst und sich wandelt.
Da führt eine ausgefeilte, ursprünglich traditionelle Batiktechnik bei Esther Haltiner-Lüscher zu ganz besonderen Bildern und damit zu spezifischen künstlerischen Grundsätzen: Licht, Farbe, die Bewegung, das Transparente, die inwendige Architektur einer Form und die zeichenhafte Anmut – sie sind Seele und Intention, das Künstlerische im Werk Esther Haltiner-Lüschers. Ihre Arbeiten entführen in sinnliche Welten fragiler und feinstofflicher Momente, Formen und Zeichen, bis zu den plastischen Objekten, die, ob organisch, naturhaft, poetisch oder märchenhaft, eine ganz eigene Welt bespielen.
Esther Haltiner-Lüscher kam durch früheres textiles Arbeiten zur Kunst, so hat sie sich eigene Kleider aus selbst gebatikter Seide geschneidert. In Kursen in Liechtenstein hat sie das experimentelle Arbeiten gelernt und lieben gelernt. Sie bereiste einige Male Indonesien auf den Spuren der traditionellen Batikkunst, in der sie ihre Erfüllung und ihr Talent gefunden hat. Ihre Sensibilität und Affinität zu dieser alten indonesischen Batiktechnik mit dem Tjanting, mit dem man mittels schlanker Tülle, wie eine Feder so fein, und mit flüssigem Wachs auf den Stoff schreiben oder zeichnen kann, spürt man in all ihren Werken, scheint in diese Bilder hinein verwoben zu sein. Diese feine Art, mit dem Wachs zu zeichnen und zu formen und mit Aquarellfarben zur Vollendung zu bringen, sie sind die Kunst, das Wesen ihrer handwerklichen Bildentstehung.
Esther Haltiner-Lüscher ist keine Batikerin! Sie verwendet die Tjanting-Geräte für ihre gestalterischen Konzepte aus Linie, strukturierendem Aufbau und formaler Freiheit, Raum und Transparenz, Einblick und Durchblick, mit der Magie des Unsichtbaren hinter dem Sichtbaren; ob auf Leinwand, Papier oder auf Zellulose-Bildträgern gestaltet. Zügig und mit sicherer freier Hand baut sie mit dem feinen Wachs-Füllfederhalter ihre Wachsliniengerüste auf, denn damit das Zeichnen und Malen der Grundstrukturen reibungslos gelingen, ist eine rasche gleichmässige Arbeitsweise unerlässlich.
Das Lineare – horizontal, vertikal, diagonal – bildet die Basis. Dazu geniesst sie die künstlerische Unabhängigkeit, etwas aus diesen webartig präzise wie akkurat gesetzten Wachs-Rastern wachsen zu lassen, weiche bewegte Formen der Natur zum Beispiel aus der Linie herauszuholen, innere, ein Bild tragende Gerüste für Farbverläufe, unfigürliche Figurationen, sublime Farbstimmungen zu kreieren. Denn nie, trotz aller assoziativen Augenblicke, ist das Gegenständliche, das Eindeutige gemeint, sondern eben einfach dieses «frei zu sein» in der Bild- und Motivfindung. Das warme Rot oder kühle Blau der netzartigen Konstrukte und Muster lassen an vexierbildartige Momente oder an Wesenartiges denken, aus konkreten Farbrastern fliessen Farbbahnen, erweitern den textilähnlichen Eindruck in architektonische Raumideen, schlichte Zellulose-und Farbelementen steigern sich zu sublimer Einfachheit: stets auf der Suche nach einer inneren und äusseren Balance zwischen Formenreichtum und bildnerischer Verdichtung.
Die Bildgestaltung ist also im wahrsten Sinne des Wortes ein mit der Hand gestaltender Prozess. Imaginieren doch die Wachsraster eine sublime haptische Textur, die sich in gewissen Arbeiten intensiviert. Vor allem, wenn Esther Haltiner-Lüscher die Zellulose aus Papiertaschentüchern zu Bildträgern und Bildmitteln verarbeitet, entfaltet, schichtet, strukturiert und mit Wachs tränkt und verstärkt, zudem geben fliessende Farbspuren dem Zufall Raum und Form, idyllische Stimmung und architektonische Effekte zugleich. Ihren Wachsobjekten, vielfältig in den Intentionen, ist eine Magie des Geheimnisvollen, eine subtile erzählerische Note zu eigen.
Ihre Faszination für den Film – Esther Haltiner-Lüscher ist Mitglied im «Freier Film» Aarau – findet ihr installatives Echo, wenn sie Arbeiten in Streifen schneidet und zu einem langen Film auf Kino-Filmspulen aufrollt: Jetzt sind ihre Bildgeschichten bereit, eine Geschichte zu imaginieren, die Phantasie herauszufordern.

Jacquy (Jacques Philipp) Neukomm / Olten
Wenn man Jacquy Neukomms künstlerisches Werk als strukturierender Grundsatz des Ganzheitlichen zwischen Konstruktion und Kunst betrachtet, erscheint es als eine universelle Denkfabrik: gestalterisch, schöpferisch und analytisch stets auf der Suche nach der Einheit von Form und Sinn, planerische Skizzen als ordnende Rasterprinzipien lebendiger Gedankenwelten, geometrische Grundformen als Basis aller kreativen Ideen, philosophische und spontane Erlebnisse im Netzwerk linearer Strukturen des Lebens und der Natur, tänzerische und strukturelle Analytik, moderne und klassische Konzeptionen.
Jacquy Neukomm ist ein ausgesprochen vielfältig interessierter Künstler, der sich nicht so einfach ein- und zuordnen lässt. Um einen Zugang zu den zum Teil vielschichtigen, zum Teil komplex vernetzten Inhalten zu finden, ist sicher sein beruflicher Lebensweg interessant. Ist doch sein Leben nicht einfach eine Biografie, sondern eine Lebensfülle an Erfahrungen, gestalterischen Interventionen, Begabungen, nachhaltigen Engagements, vielfältigem Austausch mit anderen Disziplinen, inspirierenden Eckdaten und künstlerischen Konzepten.
Aus Hallau bei Schaffhausen stammend, gehören zur Berufsausbildung der Hochbauzeichner und der Ingenieur Holz- und Formsperrholzbau. Es folgte ein Kunst-Studium mit dem Abschluss als Plastiker an der Fachhochschule für Kunst und Design in Hannover sowie autodidaktische Weiterbildungen. Sein Faible für Ballett, Theater, Musik konnte er während vier Jahren mit Charakter- und Bewegungsstudien an der Staatlichen Hochschule für Musik, Theater und Ballett, Hannover, vertiefen. Verschiedenste interdisziplinäre Tätigkeiten erweiterten sein Wissen und Können z.B. im Städtebau, in Landschafts-, Garten- und Innenarchitektur, in technischen Berufen wie der Konstruktion, im Fahrzeugdesign und Innenausbau, immer wieder auch als Gestalter und Plastiker in der angewandten und freien Kunst, die er als sich bedingende Einheit versteht. Er arbeitete als wissenschaftlicher Zeichner für Kieferchirurgie am Zahnärztlichen Institut der Universität Zürich und war als Kursleiter für figürliches Zeichnen, Akt- und Porträt-Zeichnen tätig. Von 1991 bis 2010 unterrichtete Jacquy Neukomm Skizzieren an der Schweizerischen Hochschule für die Holzwirtschaft, heute Berner Fachhochschule BFH Architektur, Holz und Bau, HF Holzbau Biel.
Ja, Jacquy Neukomm ist mehr als ein vielseitiger Künstler. Sein Werk ist eine raffiniert verknüpfende ganzheitliche Ordnung vom Erkennen des Augenblicks einer Betrachtung bis hin zur formalen Ausgestaltung, in der es um die Wandelbarkeit der Form und der Sichtweise geht, wenn eins zum anderen führt, eins aus dem anderen sich verwandelt, angewandte und freie Kunst sich inspirieren. Oder, in Abwandlung von Walter Gropius Bauhaus-Parole «Kunst und Technik, eine neue Einheit» – gilt für Jacquy Neukomm «Konstruktion und Kunst, eine vielfältige Einheit» - dabei stets seinem Credo «weniger ist mehr» verpflichtet.
Diese Einheit von «Form und Funktion und Kunst» wird zum Masterplan seines schöpferischen Denkens und Tuns: Stets in der planerischen Kreisquadratur von Ordnung (Linie, Kreis, Quadrat, Rechteck) und Bewegung, zeichnerischen Grundgerüsten und Sequenzen, Flachreliefs als Klaviatur dramaturgischer Momente, verschieden formatige Plastiken, projektplanartige und theatralische Szenarien, freiheitlich wirkende Figuren als in den Raum oder das Fadenkreuz gestellte Faszination von Theater, Tanz, Musik. Aber das Bauhaus war ja auch nicht immer rein formen-prinzipiell orientiert, so findet sich auch im Strukturierten und Strukturierenden Jacquy Neukomms das Sinnliche und Spirituelle als erzählerisches Element, wenn die Ambivalenz und harmonische Spannung von Dynamik und Statik, Denken und Fühlen als einander bedingende und ergänzende Beziehung wechselwirkig miteinander kommunizieren: Geist und Ästhetik, Natur und Vision, assoziative Gestaltung und planerische Konkretheit, Skizze und Definition, physikalische Fragestellungen, tangentiale Berührungen und die Konstruktionsformen bilden sein künstlerisches Potential. Mit dem er seine lebhaften Gedankenansätze und -welten, Erlebtes, Philosophisches bis zur Politik konglomeriert – und als Unität von Ratio und Emotio, Logik und künstlerischer Freiheit bebildert.

  
    Eva Buhrfeind, 9. März 2019 anlässlich
    der Vernissage der Ausstellung in der
    Galerie Artesol, 9. bis 30. März 2019

 

 

Blick in die Ausstellung mit Esther Haltiner-Lüscher und Jacquy (Jacques Philipp) Neukomm 2019 in der Galerie Artesol Solothurn. (Foto: Eva Buhrfeind)
Blick in die Ausstellung mit Esther Haltiner-Lüscher und Jacquy (Jacques Philipp) Neukomm 2019 in der Galerie Artesol Solothurn. (Foto: Eva Buhrfeind)
Blick in die Ausstellung mit Esther Haltiner-Lüscher und Jacquy (Jacques Philipp) Neukomm 2019 in der Galerie Artesol Solothurn. (Foto: Eva Buhrfeind)
Blick in die Ausstellung mit Esther Haltiner-Lüscher und Jacquy (Jacques Philipp) Neukomm 2019 in der Galerie Artesol Solothurn. (Foto: Eva Buhrfeind)