Ja, Franz Anatol Wyss‘ Strich, die Linienführung sind unverkennbar, ob in der abermals malerisch wirkenden Bildgestaltung in Farbe, oder auch in den an seine früheren Radierungen und Aquatinta-Arbeiten erinnernden Bleistiftzeichnungen. Es ist immer wieder eindrücklich, wie der Künstler aus Fulenbach mit den Blei- oder Farbstiften neue Geschichten, Geschehen und Betrachtungen in Szene setzt. Auch mit Jahrgang 1940 ist und bleibt er mit seinen Bildinszenierungen ein Erzähler, selbst wenn er mit den Farbstiften seine charakteristische Bildsprache bis ins Abstrahierte ausreizt. Bildsprache kann man bei Franz Anatol Wyss wörtlich verstehen. Bleiben doch seine Inhalte immer lesbar, wenn er die Farbstiftlinien dicht an dicht bis ins Flächige setzt. Auch dann, wenn er die Geschehen entgegenständlicht, denn seine wohlvertrauten Zeichen und allgegenwärtigen Zitaten kristallisieren sich nach und nach heraus, verwandeln sich unerschöpflich in der freien Interpretation. So spielen auch «Die anderen Landschaften» mit einer illustrativen, beinahe malerischen Prägnanz. Nur dass jetzt eben das Reale, das Fiktive und das Metaphorische seiner Bild-in-Bildgeschichten sich aufzulösen scheinen, dem Zeichnenmüssen mehr Raum und Inspiration ermöglichen. Die Schatten, Schattenrisse, die bekannten vernetzten Blutbahnen, angedeutetes Figuratives, die symbolischen Fragmente und das szenisch Verschachtelte früherer Inhalte sind nun freier zu lesen und zu deuten. Das Geschichtenerzählen ist in den Hintergrund getreten, bleibt dennoch narrativer Antrieb seiner künstlerischen Neugier. In den in schwarzgrauen Nuancen gehaltenen Bleistiftzeichnungen hingegen bleibt Franz Anatol Wyss nahe am nachvollziehbar Lesbaren. Bietet doch das Leben dem Künstler stets unendlichen Stoff, das Alltägliche und das Metaphorische in gegenseitiger Bewegung zu halten. Entstanden in Zeiten von Corona haben sich diese Bilderfolgen zu imaginären, ja manchmal filmisch anmutenden Szenarien über das Thema Pandemie zum konfliktreichen Mit- und Gegeneinander von Natur und Mensch zu rätselhaften Bilderfolgen vernetzt. Mit dem fein wie dicht, äusserst routiniert gesetzten Bleistift wirken diese Bildinhalte grafisch altmeisterlich. Stets vertraut er dabei auf sein Symbolikrepertoire und die allgegenwärtigen Archetypen: Fabelwesen, vertraute übermächtige Tierwelten, Menschen oft klein im Kampf. Friedliches und Attackierendes begegnen uns hier als jene Fabeln, die die Komplexität des Seins, die Vergänglichkeit des Menschen und das Unberechenbare der Natur versinnbildlichen: rätselhafte Bildmysterien, die eigentlich einfach wahrzunehmen sind.
Für diese Ausstellung konnte Franz Anatol Wyss einen Künstler einladen. Mit Roman Lüscher, 1941 in Olten geboren, wohnhaft in Luzern mit Atelier in Hergiswil, verbindet ihn eine jahrzehntelange Bekanntschaft. Der ehemalige Architekt Roman Lüscher setzt sich – aus einer intensiv durchdachten, fantasievollen Idee und langjähriger Auseinandersetzung für ein fiktives architektonisches Projekt – mit seinen aus Fliessbeton geschaffenen, architektonischen Prinzipien ohne funktionale Bedeutung auseinander. Seine streng symmetrisch konzipierten Gebäudekonstruktionen folgen stets einer einheitlichen Logik und bieten auf den ersten Blick die Vorstellung eines Gebäudekubus‘ mit Öffnungen, tragenden Wänden und deckenden Elementen, Gängen und Verbindungen. Doch bei genauerer Betrachtung zeigt sich, das Offene und das Geschlossene ergänzen und bedingen sich, sind auseinander geschaffen, aber eben ohne einheitliche Funktion. Aus den geschlossenen Wänden ausgeschnittene Elemente werden seitlich zu Ein- und Ausklappungen angesetzt, deuten Fenster, Türen an; Raum und Tiefe, Innenräume und Aussenwände folgen vor allem einem dualen konstruktivistischen Prinzip, das Roman Lüscher mit kleinen, auf die Schnelle nicht wahrnehmbaren Irritationen durchbricht. Ein scheinbar bewohnbarer, ausproportionierter architektonischer Grundgedanke wird – gezielt ohne Funktion und Nutzen austariert – zu einer künstlerisch durchdachten, architektonisch-skulpturalen Symbolik gesteigert. Und so, wie der Fliessbeton eine gewisse ästhetische Leichtigkeit in der Schwerkraft des Betons entwickelt, so entwickeln sich aus den geometrisch geschlossenen Formen mannigfaltig freie Variationen. Konkrete Architektur findet sich in der freien räumlichen Gestaltung wieder.
Bis 23. Mai 2021. Geöffnet: Fr 18-21 Uhr, Sa 15-18 Uhr, So 11-14 Uhr. Die beiden Künstler sind an der Eröffnung am 2.5., 11-14 Uhr, sowie am 8./15. und 23. Mai anwesend. Es gelten die aktuellen Coronaregeln. Weitere Informationen auf der Webseite galerie-roessli.ch.