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Leben zum Theater verkommen: «Theatermacher» von Thomas Bernhard im Stadttheater Solothurn

Verfasst von Eva Buhrfeind | |   Theater

Das Städtebundtheater Biel/Solothurn zeigt unter der Regie von Peter-Andreas Bojack Thomas Bernhards tragische Komödie vom ewig unverstandenen, einsamen wie elend-tyrannischen «Theatermacher». Auch wenn dem Stück durch Straffung mancher Giftzahn gezogen wird, begeistert die Inszenierung durch Witz und eine hervorragende Besetzung.

Ein elendiges Ekel ist er ja schon, dieser selbstbegnadete Staatsschauspieler Bruscon, aber vor allem kann er einem leid tun: Er, der in Berlin den Faust, in Zürich den Mephisto gespielt hat, ist nun mit seiner Weltskomödie, die alles sagt, was auf der Bühne überhaupt noch zu sagen ist, in diesem 280-Seelen-Kaff namens Utzbach, «Utzbach wie Butzbach», gelandet. Der Theaterraum entpuppt sich als vergammelt-klapprige Bühne in einem muffelig-verstaubten Hinterzimmer eines zweitklassigen Dorfgasthofes (Bühne: Karl Weingärtner), ausserdem ist Blutwursttag, überall stinkt’s, die Schweine grunzen und alle Anwesenden und Beteiligten sind reine Kulturbanausen: die Schauspieltruppe bestehend aus Frau, Tochter und Sohn, der Wirt, die Wirtin und die zu erwartenden Gäste auch. Das kann nicht gut gehen, die Proben erweisen sich als jämmerlich, kein Wunder bei diesem gnadenlosen Nörgeler, und so rollt denn das «Rad der Geschichte» erbarmungslos über den Theaterpotentaten hinweg: Kurz vor der Aufführung brennt der Pfarrhof, das Publikum läuft weg und Bruscon bleibt zurück mit seinem Katzenjammer um das unverstandene Welttheater.

Gestrafft
Wer Thomas Bernhards komödiantische bis tragische Bühnenattacken kennt, erwartet hier nun eine schier endlose, aber in ihrer scheinbaren Belanglosigkeit aussergewöhnliche Suada des Lamentierens, eine virtuose Beredsamkeit von suggestiver Monotonie. Hausherr Peter-Andreas Bojack jedoch hat die sich mehr als drei Stunden hinziehende, mehrheitlich monologisierte Handlung auf ein gutes, weil erträgliches Unterhaltungsmass von zwei Stunden gestrafft, wodurch zwar mancher Giftzahn gezogen wird und typisch Bernhardsches verlorengeht. So erhalten die komödiantischen Elemente, der Esprit der Worte, mehr Gewicht. In der Solothurner Version wird der 1985 anlässlich der Salzburger Festspiele uraufgeführte «Theatermacher» durch süffisante Situationskomik belebt, die sich vor allem im Zusammenspiel des ewig plappernden Bruscon (Georges Weiss) mit dem zwar meist schweigenden, jedoch mimisch um so beredteren, weil burlesk agierenden Wirt (Hans Schatzmann) ergibt. Dafür redet ein zündender Georges Weiss als Theatermacher Bruscon um so mehr, palavert und philosophiert aus tiefster, unverstandenster Seele eines auf Vollkommenheit des Welttheaters beharrenden Künstlers. Deklamiert und reklamiert, nörgelt und quengelt, schreit, zischt und faucht, säuselt und meckert, mit und ohne Resonanz.
Ein zwischenmenschliches Ekel, ein despotischer Familientyrann, mehr noch eine schrille Parodie des tragisch-heroischen, total übertreibenden Künstlers. Ein Aufschneider, Querulant und Schwätzer, ein Möchtegern-Schöngeist «Shakespeare, Voltaire und ich», der auf allem und jedem herumhackt, um so seine kleingeistige, grössenwahnsinnige Seele in die hehren Höhen künstlerischer Erhabenheit zu katapultieren. Georges Weiss interpretiert ihn intensiv, ironisierend und emotionell als ein Opfer seiner Theaterleidenschaft, für den die Mitmenschen, die Familie nur noch - wenn auch lebensnotwendig - Statisten sind: die Tochter (Sabine Ehrlich), hin- und hergerissen zwischen Verzweiflung und Zuneigung, der Sohn (Christoph Betulius) resigniert, die Gattin (Monica Gubser), die sich in einen allürenhaften, neurotischen Reizhusten als letzte Waffe geflüchtet hat.
Das Theater ist zum Lebensinhalt geworden, das Leben zum Theater verkommen, in dessen verzweifelt gesuchter Vollkommenheit er zum Schluss mit der erbarmungswürdigen Mickrigkeit eines Schmierenkomödianten zurückbleibt, den die Tochter zwar liebt, die Frau aber nur noch auslachen kann.

«Der Theatermacher» mit Georges Weiss (links) und Hans Schatzmann in den Hauptrollen 1992 im Stadttheater Solothurn.
«Der Theatermacher» mit Georges Weiss (links) und Hans Schatzmann in den Hauptrollen 1992 im Stadttheater Solothurn.