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Gestrafft und unverzerrt: Goethes «Faust» im Atelier-Theater Bern

Verfasst von Eva Buhrfeind/Bern | |   Theater

Mit einer dezent gestrafften, lebendigen wie süffisanten Inszenierung gelingt es dem Berner Atelier-Theater unter der Regie von Michael Wedekind, Goethes «Faust» auf die heutige Zeit überzeugend zu adaptieren, ohne dabei Inhalt oder Aussage zu verzerren.

Da irrt und wirrt er nun in seinem profunden, allmächtigen Wissen, der gute, alte Faust, ein Tor so klug als wie zuvor, der sich einer naturhaften Magie verschrieben hat, um durch sie endlich dem wahren Lebensinhalt, dem Sinn und der Kraft der Jugend auf die Spur zu kommen, derweilen Mephisto mit Gott um die zwei Seelen schachert, die in Faustens geplagter Brust hausen. Und Mephisto, dieser Schlawiner des Bösen, lässt sich natürlich nicht zweimal bitten, um mit dem alternden und hadernden Gelehrten den Deal des Lebens wie der klassischen Literatur auszuhandeln: Seele gegen verjüngte Kraft an Körper und Geist, für die grenzenlose Erkenntnis.
Der Fortgang dieser Tragödie ist bekannt, Goethe brauchte immerhin 60 Jahre zur Vollendung, und der Stoff stammt immerhin aus dem 16. Jahrhundert.

Kein Moralisieren
Auch Regisseur Michael Wedekind hält sich, wenn auch sanft straffend, an die Vorgabe, verlegt jedoch unter Beibehaltung von Goethes Versmass die Personen und ihr Leben ins Hier und Heute, pointiert dabei den Witz, ohne zu persiflieren, und arbeitet die Tragik des irrenden Faust deutlich spürbar heraus, ohne zu moralisieren.
Dieser nämlich (ein realitätsnaher Franz Matter) ist ein verbrauchter, müder und recht frustrierter, eher verstaubter Magister denn abgehobener Genius in seiner besten Midlife-Crisis, der sich mit dem Älterwerden nicht abfinden kann, noch einmal den Rausch der Sinne erleben möchte und der sich insgeheim nur zu gern von Mephisto (faszinierend ebenfalls Jürgen Rohe) in den zweiten Frühling schicken lässt zu einer Frischzellenkur bei einer recht medizinerhaften Hexe (Nate Seids).

Verführer unserer Zeit
Mephisto, weniger eine diabolische Abstraktion des Ur-Bösen als ein echter Verführer unserer Zeit, mit schwarzem Frack und knallroten Schuhen (passend zu Hemd und Fliege), stürzt denn auch mit seiner spitzfindigen Plappermäuligkeit eines zweitklassigen Showmasters, der aalglatten Schmierigkeit eines Variété-Magiers und der Ungeniertheit der heutigen, mit allen Wassern gewaschenen Werbemacher alle in das Unheil: Gretchen, ein empfindsam-schwärmerischer Teenager (Susanne Xenia Fitzner) verfällt der lüsternen Geilheit des zu falscher Jugendlichkeit verwandelten Faust (jetzt in Jeans und Blazer), die Mutter stirbt, das uneheliche Kind ist ermordet, der Bruder (zeitgemäss in Armee-Tarnjacke) erschossen. Erst jetzt, die Sinne frei von Begierde und Lust, geläutert durch die wahre Liebe, befällt Faust der Katzenjammer, der nur zu bekannte Weltenschmerz - zu spät.

Effektvoll inszeniert
Was man zu sehen bekommt, ist eine lebendig, effektvoll inszenierte Problematik, der Drang nach ewiger Jugend und mehr, so alt wie die Menschheit selbst, auf einer sparsam eingerichteten, dem Wort Vorschub leistenden Bühne (Dieter von Arx), mit einer reizvollen Spannung zwischen klassischer Sprache und moderner Ausstattung und einem engagierten Ensemble. Dazu gehören auch Hans Joachim Schmiedel und Erich Vock (die ihre Figuren überzeugend aktualisieren), welche dem Zuschauer diesen deutschen Ur-Klassiker wieder näherbringen.