Das Nähkästchen, für Generationen ein Ort und Hort der Näh-, Stick- oder Stopfutensilien, von Haus- und Handarbeit wie für Lebensanekdoten. Zudem galt der Nähkasten als ein sicheres Versteck, in dem früher die Frauen neben oder inmitten ihrer Nähutensilien gerne geheime Dinge aufbewahrten. Und «aus dem Nähkästchen plaudern» hiess dann auch, neben Geheimnissen auch persönliche Erfahrungen teilen.
Doch der vertraute Nähkasten ist mehr als nur biografische Nostalgie oder literarisches Erzählmoment etwa bei Theodor Fontane, der seine Effi Briest im gleichnamigen Roman enthüllende Liebesbriefe in ihrem Nähkästchen verstecken liess. Nach beiden Seiten aufklappbar und wie eine Ziehharmonika auseinander zu ziehen wie Lebensläufe, haben sich neben dem fleissigen Wirken viele Lebensmomente angesammelt, Zeitgeschichtliches und Privates, Kulturelles und Vergessenes, Schöpferisches, Andenken und Narratives von und über Frauen. Auch für die Aarauer Künstlerinnen Esther Haltiner und Vernessa Foelix sind die Nähkästen wesentlicher Teil der Erinnerung, einer bewahrenden, wahrnehmenden Achtsamkeit: «Es geht uns allen um Erinnerungskultur. Um Menschen, die nicht in Vergessenheit geraten sollen. Oder schön gesagt: Die Spuren der Vergangenheit sind Wegbereiter»! Es ist dieses Erinnern und Wertschätzen verschiedener Frauen, ihres Wirkens, ihrer Leben und Geschichten, die Esther Haltiner, Vernessa Foelix und ihre Mitstreiterinnen und ein Mitstreiter aus der ganzen Schweiz, aber auch aus dem Ausland bewogen hat, für eine besondere Ausstellung den Faden aufzugreifen, ein wenig «aus dem Nähkästchen zu plaudern».
Generationsübergreifendes Schaffen würdigen
Jede der Teilnehmenden hat hierzu ihren ganz eigenen, individuellen Nähkasten gestaltet, um eine Person, die sie besonders beeindruckt oder beeinflusst hat, deren generationsübergreifendes Schaffen, deren Leben und schicksalshafte Bedeutung zu würdigen und ihrer zu gedenken. So ist eine ebenso spannungsvolle wie berührende Assemblage entstanden, die mit Sorgfalt, Liebe zum Detail und persönlicher Verbundenheit eine vielfarbige und schöpferische, vielgestaltige Bandbreite von Frauenleben offenbart. Mit Bildern, Fotos, gestalterischen Arbeiten, mit eigenen Interventionen und Rückblicken, mit einer Vielfalt an Ideen, Kreationen und Sinnbildhaftem will man im textilen Bereich tätige Frauen aus dem privaten Umfeld wie auch international bekannte Grössen, ehren und würdigen, deren Daseinsgeschichten als kulturelles Erbe bewahren.
Frida Kahlos totale Vermarktung
Es geht in diesen mit Herzblut und Begeisterung arrangierten Arbeiten um Frauen, die im Stillen wirkten, Vorbild waren für die nächste Generation, um renommierte Textilschaffende wie auch um Frauen mit ausgeprägtem gestalterischem oder kunsthandwerklichem Talent und Geschick. Einer jungen jüdischen Künstlerin, von den Nazis verfolgt und ermordet, wird gedacht. Frida Kahlo, deren totale Vermarktung angeprangert wird, familiäre Reminiszenzen sind erzählerisch vertraut, bekannte Künstlerinnen wie auch Frauen ohne Namen oder jene, die still, aber doch geschützt hinter Klostermauern wirken konnten, ebenso Insassinnen der Psychiatrie, deren ausgegrenzte, verletzte Seelen so eine Stimme bekommen. Jeder dieser 13 Nähkästen eröffnet eine besondere Welt, steht stellvertretend für viele unterschiedliche existentielle Schicksale, für Begabung, Inspiration, für künstlerische Kräfte, für Fleiss, Lebensmut, für Kultur und Erfahrung, für Persönliches wie für ein Stück Zeitgeschichte. Eigene Erlebnisse, familiäre Wurzeln und Referenzen der Teilnehmenden spielen hinein, Entdeckungen, Verbindendes und Auseinandersetzungen mit künstlerischen Sichtungen oder zeitgeschichtlichen Dramen und tragen als Nähkästen-Narrativ ein zeitlos-gültiges Moment in sich.
Eva Buhrfeind, Juli 2022
Die Ausstellung dauert vom 11. September bis 9. Oktober 2022 und findet im Kulturort Garnlager der Firma Zürcher Stalder AG Lyssach statt, ein Ausstellungsort für Textilkunst und textiles Kunsthandwerk (www.kulturortgarnlager.org). Es ist keine Verkaufsausstellung.