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Provokative Anklage: Sartre im Atelier-Theater Bern

Verfasst von Eva Buhrfeind | |   Theater

Jean-Paul Sartres «Die respektvolle Dirne», in der Inszenierung von Franz Matter, beschert dem Publikum im Ateliertheater Bern einen eindrücklichen Theaterabend.

Was ist Moral? Ist sie gleichzusetzen mit der totalitären Wertvorstellung der Stärkeren, Schönen und Reichen, notfalls sogar unter Ausschluss der Wahrheit? Und der Rassismus: Darf sich eine Menschenrasse absolute Rechte und mehr Wertgefühl herausnehmen gegenüber anderen, nur aufgrund von Hautfarbe oder Religion? Mit diesen Fragen hat sich J.-P. Sartre nach einem Amerikaaufenthalt 1945 auseinandergesetzt und in dem anklagenden Theaterstück «Die respektvolle Dirne» zu Papier gebracht. Die Prostituierte Lizzie soll zu einem Meineid gebracht werden, um dadurch den zwar Schuldigen, da aber reich und weisser Hautfarbe nicht zu Verurteilenden, zu retten. Damit würde ein an sich harmloser Schwarzer, der in den Augen der Beteiligten ja sowieso nichts wert ist, zu Tode kommen.
Wo Bestechung und Erpressung bei Lizzie nichts fruchten, da wird mit pathetischen, hohlen Worten das Ziel erreicht: Sie lässt sich überrumpeln.

Provokative Umsetzung durch Franz Matter
Franz Matter versteht es vorzüglich, diese Anklage in der neuen Übersetzung von Andrea Spingler provokativ und aufwühlend umzusetzen. So kommt in Lizzies billiger Absteige, Dieter von Arx hat wieder treffend in seine Requisitenkiste gegriffen, eine ganz schön «illustre» Gesellschaft zusammen. Da ist einmal Verena Angst als Lizzie, einerseits so lebensecht roh, nuttig-ordinär, mit viel nackter Haut, um dann andererseits wieder ganz menschlich-hilflos zu werden in ihrer Angst und Unentschlossenheit. Und dann Stefan Lutz als Senatorensohn Fred, der mit seiner Darstellung des reichen, arroganten Herrenmenschen mit seinem rücksichtslosen Rassismus das Publikum zu Unmutsäusserungen bringt. Man möchte sich fast auf ihn stürzen und an der Seidenkrawatte packen. Für ihn ist nur ein toter Neger ein guter Neger, ausser er ist vielleicht Dienstbote.

Gegensätzliche Charaktere erhöhen die Spannung
Oder Franz Matter als Senator, so aalglatt und scheinbar verständnisvoll, um dann, ganz eiskalter Politiker, skrupellos mit eindrucksvollen Worten wie Nation, Gott und Muttergefühlen zu jonglieren. Was zählt für ihn die Wahrheit, wenn es nur um einen Neger geht? Peter Glauser und Hans P. Ulli sind zwei rücksichtslose, der Obrigkeit bedingungslos ergebene Polizisten. Und dann noch Derval de Faria in der Rolle des fälschlich verfolgten, aber ewig schuldigen Farbigen. In seiner totalen Angst huscht er zerzaust und zerlumpt mit eingedrückten Knien über die Bühne, auf der er manchmal leider zu sehr an ein weinerliches Negerlein aus Onkel Toms Hütte erinnert. Dennoch gehören ihm zum Schluss die meisten Sympathien des Publikums.
Alles in allem eine aufrüttelnde Interpretation, die insofern im aktuellen Zeitgeschehen steht, als sie zur Zeit der amerikanischen Präsidentenwahlen und der Erinnerungen an die Pogrome daherkommt. (Am 22. November 1988 auch in Langenthal und am 1. Dezember in Burgdorf.)