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Berlin mit Solothurn und noch vielmehr: «re:natur» im Schlösschen Vorder-Bleichenberg

Verfasst von Eva Buhrfeind | |   Ausstellung

Jörg Mollets künstlerisches Brückenprojekt «re:natur» in Zusammenarbeit mit der Berliner Kunst-und Wissenschaftsgruppe R_RECULT bespielt eindrücklich das Schlösschen Vorder-Bleichenberg.

Erneut ist es eine spannende, durchaus lehrreiche Gruppenausstellung, die Jörg Mollet nach 2015 im Schlösschen Vorder-Bleichenberg auf die Beine stellt. Und wiederum mit Beteiligten aus Berlin und der Schweiz. Auch dieses interdisziplinäre Brückenprojekt erweist sich als eine «never ending story», in der das eine das andere bedingt, stimuliert, wechselseitig kommuniziert und eigene Sichtweisen neu bebildert. Antworten werden gesucht, neue Erzählweisen und Bildsprachen erforscht zur Beziehung von Mensch – Natur – Umwelt.

Wenn Wellen Kreise ziehen
Abermals entstand die erste Idee im Austausch Jörg Mollets mit der visuellen Künstlerin Maryna Markova aus Berlin, die 2015 mit dabei war. Und so, wie man einen Stein ins Wasser wirft und die Wellen immer weitere Kreise ziehen, entwickelte sich eine dialogische Eigendynamik, die alle Beteiligten für persönliche Erzählweisen motivierte. Maryna Markova brachte aus Berlin die Geowissenschaftlerin und Gärtnerin Petronela Bordeianu sowie die Molekularbiologin und Umweltchemikerin Olesya Chayka ins Spiel, die Bildungsprojekte mit Schulklassen durchführen. Maryna Markova selber setzt Eindrücke und Wahrnehmungen aus dem eigenen Erfahrungsbereich um. Der Solothurner Urs Witschi bringt seine gärtnerischen und fotografischen Ideen mit ein. Und Jörg Mollet nimmt diese Prozesse und Erkenntnisse mit seiner Bildsprache auf. Ein reger Dialog des Austausches, der zeigt: Alles hängt zusammen, wenn es um Geschichten geht in Mensch-Natur-Beziehungen. Jeder greift auf, was in sein bildnerisches Thema passt, führt es weiter, regt weitere Impulse an, visualisiert im steten Austausch das weite Feld aus soziokulturellem Engagement, Gesprächen, biowissenschaftlichen Inputs, Umwelt und Klimawandel, Pflanzenwelten, Zufallsprinzip und individuellen Sichtweisen sowie künstlerischen Ausdrucksformen. Ähnlich wie ein Pilz-Myzel, das als unterirdisches Geflecht aus fadenförmigen Zellen im Waldboden Nährstoffe, Informationen und Botschaften austauscht, versteht sich auch dieser interdisziplinäre Austausch der Solothurner Gruppe «re:natur» und der Berliner Gruppe «R_RECULT» als Nährboden, als eine Art Myzel, das Mensch, Umwelt, Klimawandel, Soziokulturelles und Wissenschaft, Erde, Samen, Pilze, textile Figur und Kompost, Fotografie, Zeichnung und Malerei zu «Erdgeschichten» vernetzt.

«Arbeit am Körper» der Berliner «R_RECULT»
Ein besonderer Nährboden, der seine Signale in andere Arbeiten ausstreckt, ist die «Arbeit am Körper» der Berliner «R_RECULT». Für dieses experimentelle Projekt wird eine aus grober Jute genähte menschliche Figur zum Beet verschiedenster Pflanzen und Kräuter, die Petronela Bordeianu aus privaten Gärten einbringt. Wochenlang wurden die verschiedenen Stadien des Keimens, Spriessens, Reifen und Wachsens, Verwelkens bis zum Einblick in die Erdschicht und das dicht sich verflechtende Wurzelwerk beobachtet. Ein myzelartiges Netzwerk aus lebendiger Natur und menschlichem Nährboden, von Olesya Chayka akribisch dokumentiert und von Maryna Markova zum Narrativ fotografisch vertieft. Diese Installation hinterlässt Spuren, wie unterschiedliche Denkansätze und Bildsprachen voneinander profitieren und sich gegenseitig inspirieren können.

Olesya Chayka, Maryna Markova und Urs Witschi
Olesya Chayka erweitert mikroskopische Aufnahmen vom «Erdkörper» im Pigmentdruck zu einer schillernden Natur, wo ungeahnte Welten sich eröffnen: Pilze, Erde, Textiles, Kristallines, Blattwerk. Geheimnisvoll in den Zeichen erscheint ein scheinbar unsichtbarer Lebensraum bedeutsam in den Details. Spuren, die sich auch in bildnerischen Gedanken der anderen Teilnehmer lesen lassen. Wie zum Beispiel bei Jörg Mollet, der im gleichen Raum mit feinst filigranen linearen Schattenrissen auf lichtgelbem Grund reagiert.
Maryna Markova, sie arbeitet unter anderem in der Flüchtlingsbetreuung, lässt sich von Eindrücken und Erfahrungen aus ihrem privaten Umfeld leiten: Fundstücke eines Archivs mit Büchern, Fotos aus einer Berliner Wohnung in den Hinterhof geworfen. Diese Aufnahmen fremder Lebensgeschichten assembliert die Berliner Künstlerin mit Pflanzen oder Textilresten des «Erdkörpers» oder kleinen Zitaten zu neuen fotografischen Geschichten der Erinnerung. Wandelbar und allegorisch in der Lesbarkeit, finden sich dezente Anknüpfungsmomente zum Schaffen der anderen. So fokussiert der Fotograf Urs Witschi, als Gärtner prädestiniert differenziert hinzuschauen, den Kompost als artenreichen, vielgestaltigen Lebensraum, als ein fotografisch fokussiertes «Kompositum» der Natur durch Menschenhand. Ein künstlerisch anschaulicher Aspekt vom Verhältnis Mensch – Umwelt, den er in der Serie «Bilder von den Rändern», kleine Betrachtung vom Zusammenwirken Natur und Zivilisation, zum malerischen Effekt steigert.

Jörg Mollets Arbeiten auf Shoji-Papier
In Jörg Mollets Arbeiten auf Shoji-Papier finden die verschiedenen Interpretationen und subtilen Beziehungen einer vernetzten Natur ihre inspirierende Fortsetzung. Feine, sich beinahe kalligrafisch erweiternde Fadengeflechte, die Strukturen von Flechten, Pilzen, Schattenrisse pflanzlicher Ansichten sind eingebettet in blaue und gelbe Farbschleier, die die Nährstoffe, das Wachsen und die Photosynthese als neue Wirklichkeit eines vertrauten Bildrhythmus imaginieren. Erweitert entweder zur kimonoartigen Figuration oder als textiles, ineinander verschlungenes Raumobjekt, das basierend auf der Möbius-Schleife und gleichermassen mit dem membranartigen Papier und den fliessenden Farben die Unendlichkeit des Themas suggeriert.

Programm
Bis 21. Mai 2023. Vernissage mit Buchpräsentation, Samstag, 29. April 2023, 17 Uhr.
Öffnungszeiten: Mi/Do 16 – 19 Uhr. Sa/So14-17 Uhr. Öffentliche Führung und Gespräch: Sonntag, 7. Mai, 2023, 11 Uhr. Finissage; Sonntag, 21. Mai, 11 Uhr Lesung mit Francesca Pretarca.
Es erscheint eine Publikation «re:natur erdgeschichte »

Teilnehmende
Jörg Mollet, Solothurn – Malerei, Zeichnung
Urs Witschi, Solothurn – Fotografie
Maryna Markova, Berlin – Visuelle Kunst
Petronela Bordeianu, Berlin – Geowissenschaftlerin, Gärtnerin
Dr. Olesya Chayka, Berlin – Molekularbiologin, Umweltchemikerin

Urs Witschi, Olesya Chayka, Maryna Markova und Jörg Mollet 2023 bei «re:natur» im Schlösschen Vorder-Bleichenberg in Biberist. (Foto: Eva Buhrfeind)
Urs Witschi, Olesya Chayka, Maryna Markova und Jörg Mollet 2023 bei «re:natur» im Schlösschen Vorder-Bleichenberg in Biberist. (Foto: Eva Buhrfeind)
Werke von Jörg Mollet im Rahmen des «re:natur» im Schlösschen Vorder-Bleichenberg in Biberist. (Foto: Eva Buhrfeind)
Werke von Jörg Mollet im Rahmen des «re:natur» im Schlösschen Vorder-Bleichenberg in Biberist. (Foto: Eva Buhrfeind)
Werk von «R_RECULT» Berlin im Rahmen des «re:natur» im Schlösschen Vorder-Bleichenberg in Biberist. (Foto: Eva Buhrfeind)
Werk von «R_RECULT» Berlin im Rahmen des «re:natur» im Schlösschen Vorder-Bleichenberg in Biberist. (Foto: Eva Buhrfeind)
Skizzen im Rahmen des «re:natur» im Schlösschen Vorder-Bleichenberg in Biberist. (Foto: Eva Buhrfeind)
Skizzen im Rahmen des «re:natur» im Schlösschen Vorder-Bleichenberg in Biberist. (Foto: Eva Buhrfeind)
Werk von Urs Witschi im Rahmen des «re:natur» im Schlösschen Vorder-Bleichenberg in Biberist. (Foto: Eva Buhrfeind)
Werk von Urs Witschi im Rahmen des «re:natur» im Schlösschen Vorder-Bleichenberg in Biberist. (Foto: Eva Buhrfeind)